Geschichte der Rybi am "Milibach" in Brienz

Von der alten Hanfreibe zur Kleinschreinerei A.u.V. Schneiter AG - Nach Erinnerungen von Arnold Schneiter, 1924-2013 (früherer Rybi-Besitzer und -Betreiber in 4. Generation) mit Ergänzungen von Hans Rudolf Hösli.

1882 erwarb Johann I Schneiter (Urgrossvater) von der Gemeinde Brienz die am Mühlebach gelegene Hanfreibe (Rybi) mit zugehörendem Wasserrad und Wasserrechtskonzession.

Die Rybi wird in einer Säge- und Hanfreibeconcession von 1834 erwähnt. Sie war damals ein eingeschossiges Gebäude von wohl kaum dreissig Quadratmetern Grundfläche, gebaut mit vom Bach hertransportierten Steinen. Ost- und nordseitig lehnte sich das kleine Gewerbehaus an eine vom Mühlebachschutt geformte Geländerippe an. Auf der Westseite des Gebäudes, nahe dem Bachlauf befand sich das oberschlächtig angetriebene Wasserrad von 4.2 Metern Durchmesser. Das Wasser wurde über einen durch Holzstützen getragenen, ebenfalls hölzernen offenen Känel hergeleitet.

Foto: vor 1912, Kinderschar auf der noch schmalen, hölzernen Rybibrücke. Unter der Brücke sind im Hintergrund der Känel für die Wasserzufuhr zum Rybi-Wasserrad gut erkennbar. Auf beiden Seiten der Bachschale ragen grosse Nussbaumkronen ins Bild.

Die Kraftübertragung auf den konischen Rybi-Stein, der sich auf einer grossen runden Granitplatte abrollend drehte, erfolgte mittels eines hölzernen Mechanismus. Laut einer Verordnung der Behörden der Republik Bern war das einfache ‘Industriegebäude’ mit festem, nicht brennbarem Material (Schiefern oder Ziegeln) eingedeckt, also nicht mit damals in der Region sonst üblichen (brennbaren) Holzschindeln, was wiederum eine gewisse Bedeutung der Rybi für die damalige Bevölkerung der Gemeinde unterstreicht. Für die ‘Concession’ musste der Schaffnerei des Amtsbezirks Interlaken jährlich eine Abgabe (Wasserzins) entrichtet werden.

Bild: Abschrift der Säge- und Hanfreibeconcession von 1834

Johann I Schneiter reichte im Frühjahr 1882 ein Baugesuch für ein Fabrikgebäude beim Statthalteramt Interlaken ein. (Damals muss die oberste Mühle am Milibach, die Turbine bereits betrieben worden sein.) Der von der Staatskanzlei der Republik Bern am 5. Juli 1882 gestempelte Plan mit Grund- und Aufriss zeigt die Rybi, wie sie auf Fotos noch bis gegen 1930 verschiedentlich festgehalten wurde.

Bild: Plan über die Erweiterung des Reibegebäudes auf Port Brienz, 1882. (Unterlage zum Baugesuch)
In Schwarz der übernommene Bestand, in Rot die Erweiterung.

Das Fabrikgebäude wurde auf den erweiterten Grundmauern mit Ober- und Dachgeschoss aus Holz aufgerichtet. Dazu wurde das Material eines am eben entstehenden Bahnhof Brienz demontierten Lagerhauses (Sust-Gebäude) wiederverwendet. (Quelle: Fritz Wirz, Kleinschreiner)

Foto: um 1880, Brienz war ab 1888 Endbahnhof der von Alpnachstad herkommenden Brünigbahn. Von hier aus ging es per Schiff, Fuhrwerk oder zu Fuss Richtung Interlaken weiter. Die Bahnstrecke Brienz-Interlaken wurde erst während des Ersten Weltkrieges fertiggestellt. 1912 begann man mit dem Bau des Brienz unterquerenden Tunnels. Mit dem Aushub wurde der mit Pfählungen befestigte und Mauerwerk gesicherte Quai, die zukünftige Seepromenade aufgeschüttet.

Im Erdgeschoss des neu erweiterten Gebäudes ‘auf der Rybi’, betrieb fortan die Wasserkraft Holzbearbeitungsmaschinen zur Herstellung von Schmuckkassetten und Geschenkartikeln. Im Kaufvertrag musste sich Johann I Schneiter verpflichten, die alte Hanfreibe in Schuss zu halten. Es sollte weiterhin allfälliges Kundengut verarbeitet werden können, was aber offenbar kaum noch in Anspruch genommen wurde.

Fotos vor 1912. Johann II Schneiter und Mitarbeiter (darunter die Söhne Alfred und Viktor), im Hintergrund das Wasserrad mit 4.2 Metern Durchmesser, im Vordergrund ein Schwemmgut-Haufen (Ästchen und Laub aus dem ‘Milibachgraben’) links im Bildrand ein grosser Nussbaum. Auf beiden Fotos ist der Aufbau (OG und DG), das ehemalige Sustgebäude vom alten Anleger beim Bahnhof gut erkennbar. Die Anordnung der Fenster und Tür im EG wurden bei den späteren Umbauten von 1932 und 1986 beibehalten.

1889 übernahm der Grossvater Johann II Schneiter den Betrieb. Wegen des zeitweiligen, wetterbedingten Wassermangels ergänzte ab 1896 ein Saurer Petrolmotor die Wasserkraft. Im Jahre 1912 musste das Wasserrad einer Francis-Turbine weichen. Die hölzernen Känel der Wasserzuleitung wurden durch eine Druckleitung ersetzt. Gleichzeitig musste die offen verlaufende Transmissionswelle von der Decke der Rybiwerkstatt aus Sicherheitsgründen unter den schützenden Fussboden verlegt werden.

Ab 1908 erfolgte die Erschliessung von Brienz mit Elektrizität, beliefert vom Kraftwerk des Reichenbachs im Hasli. Der Maschinenpark auf der Rybi wurde vergrössert, der Petrolmotor durch einen Elektromotor ersetzt. Bereits 1919 wurde erstmals eine Farbspritzanlage und 1921 gemeinsam mit einer befreundeten Firma eine Schnitzmaschine zugekauft.

Foto: Johann II Schneiter mit Ehefrau und (Trudi?)

1917 ging das Geschäft von Johann II Schneiter an die Söhne Alfred und Viktor über, die die Fabrikation erweiterten und nun auch Artikel, wie Aufbewahrungskasten für Photoplatten, Ablage- und Sortierkasten für Büros, Holzkästchen für Werkzeuge und Spielsachen etc. herstellten.

1932 erfolgte der Rückbau des alten Holzbaus (OG und DG). Das Vorderhaus wurde über dem aus Bruchsteinen gemauerten Erdgeschoss bis zum Dach mit Backsteinmauerwerk hochgezogen. Die noch brauchbaren Teile des demontierten Konstruktionsholzes von OG und DG verwendete man ein weiteres Mal. Die Dachbalken und Stützen dienten für einen nordseitigen Anbau, der zusätzlich westlich zum Bach hin erweitert wurde.

Bild: Die Planzeichnung des 1932 erneuerten Fabrikgebäudes zeigt ein um knapp einen Meter angehobenes DG. Auf eine Erschliessung der Geschosse im Gebäudeinnern wurde verzichtet. Bis in die 1980er Jahre hinein führte der Weg ins OG über die Aussentreppe. Der nördliche und westliche Anbau ist im Plan nicht visualisiert.

Die letzte Betriebsphase der Kleinschreinerei A.u.V. Schneiter stand unter der Leitung der vierten Generation. Die Söhne von Viktor Schneiter: Ernst, Viktor und Arnold betrieben nun die Kleinschreinerei. ‘Noldi’ oblag die Vertretung der Firma gegen aussen, gegenüber Kunden wie auch Behörden. Er erledigte die Korrespondenz, auch in französischer und englischer Sprache. Ernst war als Maschinist im Maschinenraum sowie Holzlager tätig. Der gelernte Kleinschreiner Viktor erledigte neben den Arbeiten in der Werkstatt ebenfalls Büroarbeiten.

Viktor war übrigens ein begabter Musikant auf der Klarinette – mit der Dorfmusik spielte er regelmässig an Platzkonzerten und mit den ‘Rybi-Buebe’ in Restaurants zum Tanz auf, geübt wurde im OG der Rybi. Arnold richtete sich als gelernter Holzbildhauer im DG ein Schnitzler-Zimmer ein. Er war während der Kriegsjahre Schüler der Schnitzlerschule Brienz und gehörte laut eigener Erzählung der ‘Churchill-Fraktion’ an, im Gegensatz zu den ‘Adolf-Sympatisanten’.

Foto: Viktor, Arnold und Ernst Schneiter

Letzte Zeugen der Wasserkraftanlagen am Milibach verschwinden.

Der aufwändige Betrieb im Zusammenhang mit der Francis-Turbine der Rybi führte schliesslich in den Jahrzehnten nach dem Krieg zur Stilllegung der Wasserwerksbauten entlang dem untersten Milibachlauf. Auch in der Turbine, dem Gebäude direkt unter dem heutigen Geschiebesammler und der Säge am See wurde die Wasserkraft bald nicht mehr genutzt. Tiroler Wehr, Sandabscheider, Staubecken (Seeli), Druckleitungen und Überläufe verschwanden mit dem Bau des Geschiebesammlers weitgehend.

Der Maschinenpark der A.u.V. Schneiter AG war während der letzten drei Produktionsjahrzehnte vor 1985 sukzessive erneuert worden. Die neueren Maschinen waren nun mit je eigenen Elektromotoren ausgestattet.

Firmenschild aus Glas, Goldschrift auf Lila-Hintergrund (Hinter-Glas-Technik).

Arnold Schneiter um 2000

Nach 1980 befasste sich Arnold Schneiter mit der Liquidation des Betriebs. Vor den grossen Aufräumarbeiten wurden noch letzte Aufträge ausgeführt.

1985/86 erwarben Suzanne und Hans Rudolf Hösli die Rybi von den Gebrüdern Schneiter.

Foto: Winter 1985/86, die Rybi während der Liquidation der Firma Holzfabrikation A.u.V. Schneiter.

 

Produkte der Firma A.u.V. Schneiter Fabrikation und Handel
Die Produkte-Palette der Firma Holzwaren A.u.V. Schneiter war breit: allerlei Spielzeuge, Krämerläden, Puppenhaus-Möbel, ‘Hahn und Henne’ u.s.w. Konkurrenz ist den vielfältigen Artikeln aus Holz bereits im 19. Jahrhundert durch die billiger herzustellenden Stanzblech-Produkte erwachsen. Ab Mitte 20. Jahrhundert schliesslich war man mit den modernen Kunststoff-Erzeugnissen nicht mehr konkurrenzfähig (Quelle A. Schneiter).

 

Taschenuhrkästchen und -halter

‘Trögli’ mit erhabener Schnitzerei

Holzschachtel mit Edelweissschnitzerei

‘Trögli’ bemalt

Kästchen für Typendruckerei MECOBA

Thermometerhalterung für die Firma E.F. BÜCHI SÖHNE Bern

Hahn und Henne

Bären-Hampelmann

Verkaufsladen mit Prämienartikeln der Firma MAGGI, Kempttal/ZH

Entwurf einer modernen Schachtel in Rybi-Lila

Stapelbares Büro-Schubladenfach

Stapelbare Büro-Ablegekasten

An einer Neuorientierung, hin zu Holzspielwaren mit besonderem, pädagogischem Wert oder gar zum hölzernen Designprodukt, waren die Betreiber der Holzwaren A.u.V. Schneiter altershalber nicht mehr interessiert.

Arnold Schneiter war allerdings den modernen gestalterischen Ströhmungen des 20. Jahrhunderts gegenüber offen. Sein weitgehend selbst gebautes Haus, der Bungalow an der Steinerstrasse 11 war ursprünglich ein moderner, länglicher weisser Kubus.

Aus A. Schneiters Erzählungen weiss ich, dass er sich mit der gestalterischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts beschäftigte. Ich sah bei ihm Kataloge der frühen Documenta-Ausstellungen in Kassel. Ob er selber in Kassel war, weiss ich nicht. Auch Arbeiten aus dem Umfeld des deutschen Bauhaus der Zwischenkriegsjahre waren ihm bekannt.

Avantgarde in Brienz:
Die moderne Architektur und das moderne Design von Möbeln und Einrichtungsgegenständen prägten Arnold Schneiter in jungen Jahren. Im nachfolgenden Foto ist auf der rechten Bildhälfte der weisse in den 1960er-Jahren von ihm gebaute Bungalow erkennbar. Das nicht unterkellerte Gebäude mit Flachdach bestand aus drei Räumen, alle mit einer grosszügigen nach Süden ausgerichteten Fensterfront versehen. Von Osten nach Westen reihten sich Nasszelle mit Küche und Bad, Wohnraum/Atrium und Schlafraum aneinander.

Foto: Weisser Bungalow mit Flachdach inmitten der Chalets an der Steinerstrasse 11 (rechte Bildhälfte Mitte)

Das ‘Atrium’ war mit zwei Stahlrohrstühlen, einem selbst entworfenen, weisslackierten Sideboard vor einer total verspiegelten Wand möbliert. Mitten im Raum plätscherte in einem kleinen Chromstahlbassin eines mit Marmorplatten verkleideten Kubus ein Wasserspiel. Vier von ‘Noldi’ modellierte, bronzene Fröschchen, gruppiert um eine stilisierte Blume, spien kleine Wasserfontänen in die Ecken des Wasserbeckens. Die schmale, verbleibende, ebenfalls mit Marmor belegte Umrahmung des Bassins diente gleichzeitig als ‘Esstisch’. Sie war gerade gross genug für die Ablage von vier Gedecken.

Die Wand zum westlich anschliessenden Schlafzimmer war mit einem Innenfenster durchbrochen. Dieses schmückte ein Diapositiv von ca. 72 x 110 cm Grösse mit einer Ansicht von Manarola in der Cinque Terre, vergleichbar einem Kirchenfenster. Ein Rundfenster in der Westfassade assoziierte den Sonnenuntergang hinter dieser Szenerie.

Im Nordosten, an das Atrium anschliessende, leuchtete in den Farben pompejirot, dunkelgrün, lindengrün und beige eine minimal eingerichtete Küche. Eine weisse Plexiglasscheibe liess das Licht von der mit schwarzen Plättchen belegten Nasszelle, vom Süden her dezent in die angrenzende Küche einfallen. Der einheitliche Korkboden verlieh den eigentlich kleinen Räumen eine gewisse Grosszügigkeit.

Ab ca. 1970 überdeckte ein Satteldach den mit einem zusätzlichen Zimmer und einer Terrasse erweiterten Bungalow. Der avantgardistisch anmutende, weisse Flachdachbau am Steiner war nach dieser Umgestaltung nicht mehr erkennbar.

Dezember 2025, Hans Rudolf Hösli

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