Lyoner aufgetaut

Was ein paar junge Brienzer vor 60 Jahren in Bern erlebten - eine Erinnerung von Martin Flück (Orgeller)

Foto: Symbolbild

Die beschriebenen Ereignisse haben sich vor ungefähr 60 Jahren ereignet. In dieser Zeitspanne bis heute haben das Wissen der Menschheit, die Technischen Möglichkeiten und Errungenschaften, der Lebensstandard und der Wohlstand im Quadrat zugenommen. Aber auch die Arroganz und die Selbstüberschätzung der Menschen und deren Möglichkeiten. Sogar eine spezielle Form von Dummheit hat zugenommen. Der Philosoph Schopenhauer schreibt: «Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will.»

Damals vor 60 Jahren trafen sich die Oberländer, die in Bern wohnten und arbeiteten, aber vor allem auch die vielen jungen Brienzer, die sich zu Aus- oder Weiterbildungszwecken in Bern aufhielten, in einer heute nicht mehr existierenden Beiz. Diese befand sich an der Ecke oben an der nicht mehr existierenden Metzgergasse. Der Wirt stammte aus Brienz und war ein kleingewachsener, lebhafter Typ, immer in Bewegung. Er besass eine für seine kleinwüchsige Gestalt mächtige Bassstimme, vergleichsweise wie das Horn eines Meerschiffes. Seine Frau war grösser, stützte sich breit auf das Buffet und hatte eine hohe Stimme, wie das Horn einer kleinen Hafenbarkasse. Wenn beide ihr Organ in Betrieb setzten, um in einer Ecke des Betriebes Ordnung zu schaffen, führte dies meistens zum Erfolg. Das Restaurant war der Treffpunkt des Oberländer-Vereins. Die Zusammenkünfte der immer von Heimweh geplagten Oberländer waren der ausgelassenen Stimmung wegen bekannt und ungemein beliebt. Ein Brienzer, damals Offizier der Kantonspolizei, war ein sehr aktives, aber auch beliebtes Mitglied. Kein aufgeblasener «Schroter», der immer und ewig auf der Suche nach dem Wurm oder dem Haar in der Suppe war. Er war ein fröhlicher und geselliger Typ. Immer bereit für einen Spass oder um ein Lied anzustimmen. Er besass, wie der Wirt, eine schöne und variantenreiche Bassstimme. Wenn er in Laune geriet, war er im Stande, einen ganzen Saal voller Menschen 2 Stunden lang ohne Pause zu unterhalten.

Oft kam es vor, so gegen Ende Monat, dass uns jungen Leuten das Geld zum Leben knapp wurde. Ich hatte zum Beispiel für das Essen pro Tag Fr. 7.- zur Verfügung! Das Zimmer ohne fliessendes Wasser und WC kostete im Monat Fr. 80.-. Das WC befand sich im 200 jährigen aus Sandstein gebauten Treppenhaus. Für ein Bier musste man 50 Rp. hinlegen. Mehrere Bier hiess ganz einfach, weniger Essen. Es hat sich damals gelohnt, mit den letzten 50 Rp die Beiz an der Metzgergasse zu besuchen, dort ein Bier zu bestellen und an diesem Bier möglichst herumzunuckeln, bis dies dem Wirt aufgefallen ist. Er kam dann an den Tisch geschlichen, warf kurz einen Blick zur Hafenbarkasse, die hinter dem Buffet ankerte, und fragte leise: «Habt ihr Hiribusse wieder einmal kein Geld?» Dann rief er laut mit mächtiger Stimme und einem Blick zu den wachen Augen hinter dem Buffet: «Meinetwegen noch eine Runde!! Aber das wird aufgeschrieben und übernächste Woche bezahlt!!» Seine wache Gattin hätte es nicht zugelassen, wenn er offiziell eine Runde spendiert hätte....

Du lieber, unvergesslicher Robert, nie werden wir das vergessen, so wie du damals das Einkassieren in der übernächsten Woche vergessen hast!

Es war einmal im Herbst um den Zibelemärt herum. Der runde Tisch war besetzt von jungen Brienzern, dazwischen ein schwer angetrunkener Einheimischer. Es war ein Hornusser, körperlich und auch geistig. Ständig stichelte er und versuchte, einen Streit anzuzetteln. Bis der Wirt vom Buffet aus drohte, ihn hinauszuwerfen. Der Hornusser blickte erstaunt und ungläubig zum Wirt, und lallte: «Du Lobellt! Du wosch mi use lüele?» Der Wirt verschwand und der Hornusser lachte uns drohend an. Der Wirt tauchte wieder auf, beide Hände auf dem Rücken trat er hinter den renitenten Gast und brüllte mit seinem mächtigen Organ: «Du wirst nun dieses Restaurant sofort und ohne Widerrede verlassen!!» Der Angesprochene drehte sich gemächlich um, betrachtete den Wirt langsam von oben nach unten mit der Bemerkung: «Ich werde dich, du halbe Portion, nun sachte durch das Fenster neben der Türe unter die Laube werfen!» Er versuchte aufzustehen. Der Wirt zauberte eine 5 kg schwere Lyonerwurst hervor und tupfte damit leicht auf den Schädel des Hornussers, der sogleich sachte unter den Tisch rutschte. Mit Hilfe der ganzen Tischrunde wurde das Opfer hinausgeschleppt und bei der nächsten Säule gemütlich angelehnt, quasi zur Erholung.

Die Festivitäten nahmen ihren Lauf. Zu Feierabend war der Hornusser aus der Laube verschwunden und die Angelegenheit alsbald vergessen. Nach einigen verflossenen Wochen spendierte der Wirt der Oberländer-Gruppe unaufgefordert eine Runde, setzte sich zu uns an den Tisch und berichtete: «Jetzt hat der Hornusser eine Anzeige wegen schwerer Körperverletzung gemacht! Nächste Woche muss ich vor Gericht erscheinen. Es gibt da ein kleines Problem. Um das zu beseitigen, brauche ich Zeugen. Ihr erinnert euch an die Sache mit der Lyonerwurst. Der Lump behauptet, dass die Lyonerwurst in gefrorenem Zustand gewesen sei, als ich dem Kerl die Glatze streichelte. Ich muss also mit Zeugen beweisen können, dass die Wurst nicht hartgefroren, sondern weich war wir ein «Bébéfudi». Wir versprachen sofort zu helfen. Der Wirt und die Beiz waren von existenzieller Bedeutung für uns. Wir mussten Soforthilfe leisten! Wie konnten wir bezeugen, dass die Wurst weich und nicht gefroren war? Auf Grund eines Indizes konnten wir eindeutig bezeugen, dass die Wurst weich und nicht hart gefroren war. Der Wirt hätte nämlich eine gefrorene Wurst mit diesem Gewicht unmöglich so lange mit ungeschützten Händen festhalten können. Das Bearbeiten des Kopfes mit der weichen Lyonerwurst hatte nur das bereits begonnene Abtauchen des Hornussers ein bisschen beschleunigt.

So kam Robert unbescholten von der Gerichts Verhandlung zurück, und der Hornusser wurde wegen Trunkenheit verwarnt.

Martin Flück 9. April 2021

Zurück

Meine Grosseltern Hans (Mühlibach Hansli) und Gritli Eggler

Lotti Schaller (Jg. 1948) hat einige schöne Erinnerungen an die Ferien bei ihren Grosseltern in Brienz notiert.

Auswandern

Für das Thema Auswandern scheinen unsere «Träpplig Suecher» fast zu jung. Trotzdem wussten Peter Fischer-Rahm, Trudi Steiner und Vreni Fischer-Fuchs einiges zu erzählen und Fränzi Feusi und Rose-Marie Flück hörten gespannt zu. Zudem konnte Silvia Thöni-Fischer als Burgerschreiberin von ihren Erfahrungen berichten, wenn sich Nachkommen von Auswanderern nach ihren Vorfahren bei ihr erkundigten.

Hüterbubengeschichten von der Planalp

Im Dezember 2023 hat Peter Schild seine Erinnerungen an die Hüterbubenzeit auf der Planalp und an Obristen aufgeschrieben. Entstanden ist ein Bericht mit vielen Eindrücken über das Leben auf der Alp als Hüterbube. Die Zeit in der Natur mit den Tieren war eine Schule fürs Leben.

Sie waren die Letzten ihrer Art

In den späten 1940er-Jahren hüteten Hanspeter Flück und seine Schulfreunde rund 40 Ziegen fürs ganze Dorf. Ein Bericht von Hans Heimann, erschienen im Schweizer Bauer am 24. Mai 2025.

Wie eine Linie der Familie Flück zum Übernamen «Bitzer» kam

Es ist ja allgemein bekannt, dass der Familienname Flück in Brienz so häufig ist, dass es mindestens 16 Übernamen gibt, damit man die einzelnen Linien unterscheiden kann. Thomas Dietrich ging auf Spurensuche, nach dem Ursprung des Übernamens «Bitzer».

Wie eine Linie der Familie Wyss zum Übernamen «Cäsarler» kam

Dass in Brienz Mitte des 19. Jahrhunderts ein Kind auf den Namen Cäsar getauft wird, ist eigentlich undenkbar. Aber genau das geschieht 1851, als die 22-jährige Elisabeth Flück einen Sohn zur Welt bringt. Thomas Dietrich hat verschiedene Recherchen zum Übernamen «Cäsarler» unternommen und die Erkenntnisse zu einem Dokument zusammengestellt.

Schafmarkt in der Alpgasse bei der Chirsimatten-Schiir

Fotobeschrieb und Erinnerungen von Peter Fischer-Rahm, Oberdorf. Neu mit Video!

Das Gerstenfeld im Teiffental um 1943

Selbstversorgung in der Schweiz. Neu mit Video von Peter Fischer-Rahm.